Einblicke
An dieser Stelle können Sie zwei meiner Vorträge nachlesen.
Den jeweiligen Textabschnitten sind die Künstler und die
beispielhaft gezeigten Abbildungen voran gestellt.
Das Floss der Medusa
Romantische Malerei in Europa?
Vortrag zum Salonabend der Carl Blechen Gesellschaft am 24. Oktober 2002
Musikzimmer in Schloß Branitz
Pressetext
In der deutschen Malerei der Romantik nimmt die Landschaftsmalerei einen besonderen Stellenwert ein und Caspar David Friedrich und Carl Blechen waren die herausragenden Meister dieser Kunst. Dagegen konzentrierten sich seit etwa 1810 die Mitglieder der sog. „Nazarener“ in Rom in ihrer Kunst auf die Darstellung der mittelalterlichen Geschichte und Religion.
Auch in England wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts häufig die Landschaft als malerisches Thema gewählt. Die überragenden Künstler waren Constable und Turner. Die erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Kunst der englischen Künstlergruppe der „Präraffaeliten“ lieferte bildliche Darstellungen literarischer Themen, die der heimischen Sagenwelt oder bei Shakespeare entlehnt wurden. Bemerkenswert an der englischen Kunst dieser Zeit ist der schon bald einsetzende gesellschaftspolitische Bezug, der in engem Zusammenhang mit der frühen Industrialisierung Englands steht.
Die französische Malerei des 19. Jahrhunderts war zunächst noch von der Aufklärung geprägt, jedoch mit dem Siegeszug Napoleons durch Europa wurden von den Künstlern zunehmend historische Themen gewählt, die durchaus nationalpathetische Züge trugen. Erst mit der Kritik an der napoleonischen Kriegspolitik zogen die Künstler sentimentale und empfindsame Bildthemen vor.
Der Lichtbildervortrag will die charakteristischen Züge der romantischen Malerei in Deutschland, England und Frankreich vergleichen und an Hand der prominentesten Beispiele darstellen.
Caspar David Friedrich: Tetschener Altar, 1808
und
Philipp Otto Runge: Der Morgen, 1808
„Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“
Georg Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, bot hier um 1799 eine erste Definition des Romantischen. Er gehörte zu einer jungen Generation deutscher Literaten, die, wie etwas später auch die Philosophen und Künstler ein neues Weltbild propagierten. Damit waren sowohl ein neuer Blick auf die Natur als auch die Sehnsucht nach Harmonie zwischen dem Menschen und seiner Umwelt
gemeint.
Besonders in der Malerei stellte die Frühromantik eine Abkehr von antiker Tradition dar und die jungen Künstler wendeten sich bewusst thematischen Vorbildern aus dem Mittelalter und der Frührenaissance zu, betonten damit das
christliche Erbe Europas und zielten auf die Utopie einer politisch und geistig geläuterten Zukunft ab. Dieses, nur unpräzise benannte Ideal, belegt, dass die Romantik keinen genormten künstlerischen Stil ausbilden konnte und wollte und sich in den einzelnen Ländern Europas mit ganz unterschiedlichen malerischen Mitteln von stiller Versenkung bis zu spektakulären Inszenierungen bediente.
Ich möchte an Hand dieses Vortrages die unterschiedlichen Ausprägungen einer europäischen Malerei aufzeigen, Ihnen vor allem die deutsche, englische und französische Romantik vorstellen und versuchen, Querverbindungen herzustellen, sofern dies möglich ist.
In meinen Ausführungen halte ich mich an die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Margaret Stuffmann, die am Frankfurter Städel tätig war, an John Cage von
der Londoner Nationalgalerie und an Norbert Wolf, der mehrere Jahre an der Universität München unterrichtete. Auch ist meine Auswahl, die ich ihnen vorstellen werde, eine rein Subjektive. Dies gilt auch für die Gegenüberstellungen, die, eben ganz romantisch, meine individuelle Gefühlswelt ansprechen. Ohne Frage ist die Romantik, auch wenn sie sich im Deutschland des beginnenden 19. Jahrhunderts einer besonderen Resonanz erfreute, ein gesamteuropäisches Phänomen, das weite Teile des Jahrhunderts in Anspruch nahm. Wandel und Veränderung, die Aufhebung von Normen und das Verfließen von künstlerischen Grenzen wurden zum Programm. Die französische Revolution wurde zunächst von den deutschen Künstlern als Chance angesehen.
Das in Kleinstaaterei und pompösem Kaisertum erstarrte Deutschland ohne eigentliche Hauptstadt, ohne politisch verantwortungsbewusstem Bürgertum und letztendlich auch ohne entscheidende Industrie hätte von einem politischen Neuanfang profitieren können. Doch in der Folge der Befreiungskriege entstanden zunehmend nationalstaatliche Bemühen und individueller Rückzug.
Der deutsche Romantiker, Caspar David Friedrich, wird zwar zu den Gegnern Napoleons gerechnet, aber den Nebel einer unreflektierten Deutschtümelei darf man ihm nicht anlasten. Sein sog. "Tetschner Altar" von 1808 war das erste Bild, mit dem Friedrich überhaupt in die Öffentlichkeit trat. Hier sind sowohl nationale als auch christliche Symbole enthalten. Ursprünglich hatte Friedrich es dem Schwedenkönig Gustav IV. Adolf, dem Landesherren von Greifswald, Friedrichs Geburtsstadt, einer führenden politischen Gestalt im antinapoleonischen Kampf, gewidmet. Demnach wäre also das Gipfelkreuz, dem Dichter Ernst Moritz Arndt entsprechend, als deutsch-nationales Symbol zu deuten. Aber mit dem Bedeutungsverlust Gustav Adolfs und dem Verkauf des Bildes nach Tetschen konnte nun die rein christliche Symbolik betont werden. Versehen mit einem neuen Holzrahmen, den ausschließlich christliche Motive schmücken, war das Gemälde als Altaraufsatz für die Schlosskirche vorgesehen. Daß dieses Bild schließlich im Schlafzimmer des Schlosses landete, hatte Friedrich nicht mehr zu beeinflussen.
In Philipp Otto Runges Bild "Der Morgen" aus dem gleichen Jahr" bildet eine nackte Frauengestalt über einer weiten Ebene und Meeresküste im Hintergrund das zentrale Motiv. Sie ist sowohl als Maria als auch als antike Venus zu deuten. Ihrer rechten Hand entwächst eine riesige Lilienblüte auf deren Rand Kinder sitzen. Das auf dem Boden liegende Kind symbolisiert gleichzeitig Eros und das Christuskind und die Rahmenleiste zeigt mehrere Kindergestalten und Pflanzenformen, die gemeinsam mit der Binnendarstellung die (so Runge) „grenzenlose Erleuchtung des Universums“ zum Ausdruck bringen sollen.
Bei Runge und bei Friedrich also Bilddarstellungen, die mehrere Deutungsmöglichkeiten zu lassen. Der Mensch und das Universum gelten in der Malerei der deutschen Romantik als bildbestimmende Motive und wiederum war es Friedrich, dem es gelang, diese Gefühlswerte im Bild anschaulich zu machen.
Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, 1810
und
Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald, 1810
Friedrich verzichtete, mit Ausnahme des Mönchs, auf jede Figurenstaffage und auf eine systematische Tiefenerschließung des Raumes bei seinem wohl berühmtesten Bild, dem Mönch am Meer von 1810.
Der leere Raum des Himmels füllt 5/6 der gesamten Bildfläche. Schemenhaft ist der Horizont zu erkennen, aber wir haben das Gefühl für Tiefe und Proportion verloren. Zwei kleine Segelbote, die sich ursprünglich in der Kopfnähe des Mönches befunden haben, wurden von Friedrich wieder getilgt. Unendlichkeit ist der Bildinhalt und der Mönch, mit dem einerseits Friedrich sich selbst identifizierte und der andererseits auch als Stimmungsträger für den Betrachter gilt, sinnt im Bewusstsein seiner Kleinheit über die Übermacht des Universums nach. Dieses tragisch-melancholische Lebensgefühl ist eine wesentliche Komponente der deutschen Frühromantik.
Die Abtei im Eichwald ist als Pedant zum Mönch am Meer entstanden, die Bildmaße sind entsprechend. Mit den Eichen und der gotischen Kirchenruine ist vermutlich auf die Zeit der Naturreligionen und auf das christliche Mittelalter angespielt. Ein Leichenzug mit Mönchen führt an einem offenen Grab vorbei auf das Kirchenportal zu, in dessen Öffnung ein von zwei Lichtern flankiertes Kreuz erscheint. Eine feierliche Symmetrie teilt das Bild in eine irdisch todesnahe und in eine himmlich erleuchtete Hälfte und nur im Licht des Horizonts scheint sich die Möglichkeit einer besseren Welt jenseits von Geschichte und Tod abzuzeichnen.
Vielleicht als Hoffnungsträger in Zeiten der größten Bedrohung durch die napoleonischen Truppen hatte der Preussenkönig Friedrich Wilhelm III. die beiden Gemälde unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in der Berliner Akademieausstellung angekauft.
Caspar David Friedrich: Frau am Fenster, 1822
und
Philipp Otto Runge: Die kleine Perthes, 1805
Charakteristisch sind Fensterbilder in der Romantik, also die vom Innenraum her durch offene Fenster oder Türen gesehene Landschaft. Die Spannung zwischen der landschaftlichen Weite draußen und der Intimität des Interieurs entspricht beispielhaft dem von Novalis geforderten „Schein des Unendlichen“.
In Caspar David Friedrichs "Frau am Fenster" von 1822 (so interpretierte Börsch-Supan) stehe der dunkle Innenraum für die Enge der irdischen Welt, die ihr Licht nur durch das Fenster als Öffnung zum Überirdischen erhält. Das gegenüber liegende Ufer des unterhalb des Fensters vorbeifließenden Flusses bedeute das Jenseits im religiösen Sinn, die Isolation des Menschen von der Natur ist verdeutlicht. Die ans Fenster gelehnte Rückenfigur – die Frau des Malers – wirkt in dem schmalen spartanischen Raum und dem linearen Gittergefüge der Komposition wie eingesperrt.
Nur im unteren Fenster ist ein Klappladen nach innen geöffnet, umso eindringlicher tritt hier und in der verglasten Öffnung des Oberfensters die helle Weite des Himmels und der Natur in Erscheinung. Die umschlossene Geborgenheit steht sowohl für Behütetssein als auch für Sehnsucht nach Ferne.
In Runges Porträt "Der kleinen Perthes" von 1805 wird im Fensterrahmen die Weite der Wasserfläche von Binnen- und Außenalster Hamburgs sichtbar, doch die Konzentration liegt auf der Wiedergabe der Stimmungslage des Kindes, dessen ernster nachdenklicher Blick zwischen dem Bildbetrachter und dem Fenstermotiv vermittelt. Das Kind ist in seiner ganz natürlichen Präsenz wiedergegeben, keine modische Puppe, kein kleiner Erwachsener, sondern ein Individuum mit dem momentanen Ausdruck kindlicher Melancholie.
Karl Friedrich Schinkel: Felsentor, 1818
und
Carl Blechen: Mönche am Golf von Neapel, 1829
Zu Beginn seiner Karriere hatte sich der Architekt Schinkel noch deutlich an Friedrich orientiert. Sein Gemälde "Felsentor" von 1818 erinnert stark an Friedrichs Kreidefelsen.
Durch eine große bogenförmige Öffnung in einer felsigen Partie, vielleicht im Zittauer Gebirge, wird der Blick des Betrachters in die Weite der Landschaft geführt. Auf einem schmalen, gefährlichen Pfad scheint ein Reiter mit seinem Gefolge in das feste Gefüge der Felsenformationen hineinzureiten. Der Blick des Betrachters jedoch sucht über die tief eingeschnittene Schlucht hinweg die Ferne und Weite des in hellen Dunst liegenden Mittelgebirges. Jedoch die rechts in einem Felsenfenster hängende Glocke lässt die Allmacht der Natur über den Menschen nicht vergessen.
Auch Carl Blechen war zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn von Friedrich nicht unerheblich beeinflusst. Jedoch während seiner italienischen Jahre änderte sich vor allem seine Farbauffassung grundlegend. Sein Interesse galt nun optischen Phänomenen, kontrastreichen Licht- und Schattenwirkungen. Eine Betonung romantischer Gefühlswerte deshalb trat deshalb nicht in den Hintergrund.
In dem kleinen Ölgemälde "Mönche am Golf von Neapel" von 1829 zeigt sich seine bekannte malerische Raffinesse in dem nuancierten Farbspiel an den Felsenwänden, im Lichtdunst des pastellfarbenen Himmels und in den Blauschattierungen des Meeres. Die beiden alten Mönche wenden sich jedoch nicht zum Ausblick hin, sondern nach innen, in den Höhlenraum hinein. Anstelle von Fernweh und Unendlichkeit ist es hier die selbstbezogene Versenkung und tiefgründige Innerlichkeit, wie sie sich in vielen Werken Blechens andeutet.
Theodore Gericault: Das Floß der Medusa, 1819
und
Eugene Delacroix: Das Massaker von Chios, 1824
Während des napoleonischen Zeitalters wirkte in Frankreich zunächst noch die klassizistische Malerei fort und fand ihre Ausprägung im oftmals kühlen und akademisch reglementieren Werk Ingres nach. Doch kurz nach 1800 formierte sich ein Widerspruch zum Imperator und dem von ihm propagierten klassizistischen Stil des Empire.
Nicht zuletzt Chateaubriand und Germaine des Stael gehörten zu den Kritikern Napoleons und die de Stael empfahl bereits die deutsche Romantik als Vorbild eines über reine Machtpolitik hinausgreifenden Universalismus. Und mit dem Werk Gericaults und Delacroix entwickelte sich eine, Frankreich typische, Ausprägung der Romantik.
Diese beiden genialen Künstler ließen jedoch die für die deutsche Romantik so bezeichnende Landschaft in ihrem Werk völlig außer Acht und konzentrierten sich eher auf das Historienbild, vor allem, weil sie darin die Möglichkeit sahen, die unterschiedlichen Fassetten der menschlichen Psyche darlegen zu können.
Theodore Gericaults "Floß der Medusa" von 1819 löste im Pariser Salon zunächst große Aufregung aus. Den Zorn erregte vor allem das gewaltige Format von etwa 4 x 7 Metern, für ein Gemälde, das nicht wirklich heroisch und erhebend war. Außerdem war diese Katastrophenschilderung nicht eine Allgemeine und Unverbindliche, wie man sie in der französischen Malerei durchaus kannte, sondern Gericault beschrieb hier ein zeitgenössisches Ereignis, das den Menschen noch immer unter die Haut ging: Am 2. Juni 1816 war vor der westafrikanischen Küste die Fregatte Medusa untergegangen. Die Besatzung überließ 150 Passagiere auf einem Floß ihrem Schicksal. Dreizehn Tage trieben diese auf dem Meer, wobei es zu grauenvollen Szenen des Wahnsinns, Tod, Mord und Kannibalismus kam. Als das Floß schließlich gesichtet wurde, waren noch 15 Personen am Leben. Von den offiziellen Stellen zunächst verschwiegen, erschien 1817 ein Bericht der Überlebenden, der eine Welle der Empörung auslöste.
Gericaut lieferte mit diesem Gemälde eine Komposition, die weit über eine Reportage oder genrehafte Behandlung des Themas hinausging und menschliches Verhalten in einer Extremsituation schilderte. Wenn auch für die Durchbildung der menschlichen Körper hier Michelangelo stellenweise Pate stand, gelang es Gericaut auf eindringlichste Weise, unvorstellbares menschliches Leid drastisch vorzuführen und damit das menschliche Versagen der Verantwortlichen bloßzustellen.
Um die Schilderung menschlichen Leids in glaubwürdiger Form ging es auch Eugene Delacroix in seinem Gemälde "Das Massaker von Chios", das 1824 entstand.
Der griechische Freiheitskampf gegen die Türken bewegte die Gemüter in ganz Europa. Delacroix beschieb die Ermordung von 20.000 Bewohnern der Insel Chios. Er präsentiert die Täter und die Opfer, Tote und Überlebende, die Posen der Verlierer und Verletzten, den türkischen Reiter auf dem sich aufbäumenden Pferd und seinen siegesbewussten Blick. Eine karge Küstenlandschaft mit brennenden Häusern bildet den Hintergrund und legt sich folienhaft hinter die bestialische Vordergrundsszene.
Befremdlich wirkt zunächst das exquisite Kolorit, jedoch ist der scheinbare Gegensatz zwischen dem grausamen Thema und dem schönen malerischen Stil nicht als Zeichen der künstlerischen Raffinesse des Malers zu verstehen, sondern als sein Vermögen eine aktuelle Realität und überzeitliche Identität der Bildaussage zu kombinieren.
Paul Delaroche: Die Söhne Edwards IV., 1830
und
Friedrich Overbeck: Italia und Germania, 1828
Vom Vorwurf hohler Theatralik, von oberflächlichem Sentiment und übersteigertem Pathos ist das Werk des Malers Paul Delaroche nicht freizusprechen. Hier wurde ein Publikumsgeschmack bedient, der nach Sensation und Faszination verlangte. In seinem großformatigen Gemälde einer Szene aus einer Vorlage nach Shakespeare versuchte Delaroche historische Exaktheit, schaffte aber nur eine Bühnenrealität. Wie in einem Kriminal- oder Schauerroman soll hier Spannung aufgebaut werden: Der Mörder der beiden Königssöhne lauert im Verborgenen, das Hündchen aber hört ihn schon kommen, und auf dessen Reaktion hin wird auch der Ältere der Prinzen aufmerksam. Romantisch und seelenvoll, voll Todesahnung, sollen die Jungen
wirken, und sind doch nur die Protagonisten eines sentimentalen Rührstücks. Natürlich sind Sentiment und menschliche Verbundenheit große Leitthemen der
Romantik, aber sie können auch in ganz anderem Gewand daherkommen.
Die Nazarener stehen für eine Form des Freundschaftskultes, der besonders in der Romantik beflügelt wurde. 1809 hatten Wiener Kunststudenten den Lukasbund, die erste Künstlergemeinschaft, gegründet. Sie nannten sich Lukasbrüder nach dem Evangelisten Lukas, dem Patron der Malerzunft, und sie lehnten jedes akademische Reglement strikt ab. 1810 verließen sie Wien um sich im römischen Kloster San Isidoro niederzulassen und dort in mönchischer Einfachheit zu leben und zu arbeiten.Man kennt die Namen: Cornelius, Pforr, Schnorr von Carolsfeld, Overbeck und andere. Wegen der langen, in der Mitte gescheitelten Haartracht wurden sie von den Römern als Nazarener verspottet.
Sie suchten das Mittelalter in Rom und fanden Raffael und Perugino, beides Protagonisten der italienischen Renaissance. Ziel war die Erneuerung der Malerei im Sinne sakraler Tiefe und volksnahem Katholizismus. Die biblischen, symbolischen und aus der altdeutschen Geschichte und Sagenwelt entnommenen Themen wurden in einem naiv-volkstümlichen, schönlinigen Erzählstil vorgetragen.
Friedrich Overbecks Gemälde "Italia und Germania" von 1828 entspricht genau dem Programm der Nazarener, nämlich die angestrebte harmonische Verschmelzung italienischer und deutscher Malerei des Spätmittelalters und der Renaissance bis hin zu Raffael. Links die lorbeerbekränzte dunkelhaarige Italienerin, typisiert nach dem damaligen Schönheitsideal, rechts verkörpert
Germania den nordischen Gretchentyp mit Blondhaar und Myrtenkranz. Hinter Italia erstreckt sich passend eine italienische Ideallandschaft, hinter Germania eine engwinklige deutsche Stadt mit gotischem Spitzturm. Die einander zugewandten Frauengestalten besitzen eine innere Monumentalität, die aber auch die menschliche Zugeneigtheit nicht vermissen lässt.
Die Nazarener waren zwar nicht unbedingt stilbildend, jedoch in Europa von einer gewissen Bekanntheit und demzufolge kam es, nach einer Zeitverzögerung, auch zu ähnlichen Ergüssen in der europäischen Kunst der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Jean August Dominique Ingres: Jean d ́Arc, 1854
und
William Morris: Königin Guinevere, 1858
Ingre, der eigentlich Klassizist war, zeigt hier deutlich romantische Töne, seine Jean d ́Arc von 1854, als siegreiche Jungfrau, die 1429 Orleans von der englischen Belagerung befreit hatte, eine triumphierende Heldin, eine gepanzerte Heroine, seelenvoll vor einem Altar den Blick zum Himmel gerichtet. Die prunkvollen Gegenstände, die Monumentalisierung der Heldin vor schwarzem Hintergrund, die Anbetungspose der weiteren Personen, all dies soll die gedankliche Tiefe steigern und doch gerinnt die Schönlinigkeit und der emailhafte Farbglanz zu akademischer Glätte.
In dem Gemälde von William Morris mit dem Titel: Königin Guinevere von 1858 gehen der Detailrealismus in der Ausstattung und im Material mit der historischen Episode eine ebenfalls fragwürdige Allianz ein. Es handelt sich hier um das einzige Gemälde des britischen Kunstgewerblers und seine eigentliche Intension, nämlich mit dem Bild Werbung für seine kunstgewerblichen Produkte zu machen, wird nur scheinbar verborgen. Die aus der Arthussage entlehnte Königin steht sinnend vor einer Kommode mit mittelalterlichen Handschriften. Das historisierende Thema wirkt wie der Vorwand für ein Bild, das ansonsten eine Musterkollektion verschiedenster ausgesuchter Stoffe und Gewänder präsentiert.
William Turner: Rom vom Aventin aus gesehen, 1836
und
Carl Blechen: Abendhimmel über der Campagna und Aquädukt, 1829
Die wirkliche Stärke der englischen Malerei der Romantik liegt aber bekanntermaßen in der Landschaftskunst und hier ist als der bedeutendste Vertreter natürlich William Turner zu nennen.
Seine Romansicht von 1836 ist weder Vedute noch Ideallandschaft. Seine Ölgemälde wie auch seine Aquarelle zeugen von einer unstillbaren Experimentierfreude und die revolutionäre Licht- und Farbwiedergabe in seinen Bildern ist durchaus impressionistisch zu nennen, wobei sich seine Darstellungen immer wieder zu abstrakt wirkenden Ansätzen steigern konnte. Rom und der Tiber liegen im fahl gelben Licht und auch der Himmel ist in diesem überirdischen Licht gehalten. Die Stadtlandschaft ist in ihrer Struktur aufgelöst und visionär. Einzig die große Pinie und die darunter lagernden Personen scheinen Realität. Turner bevorzugte eine so flüchtige Malweise, die selbst jeden topographischen Bezug negiert.
In der Auffassung dem nicht unähnlich hier ein Aquarell von Blechen: "Abendhimmel" über der Campagna mit Aquädukt von 1829. Natürlich sind hier die Farben gänzlich anders behandelt und auch die Malweise selbst lässt sich nur schwer vergleichen. Jedoch ist beiden Bildern eine ähnliche Stimmung zu eigen. Beide sind von einem rein subjektiven Künstlereindruck geprägt, der hier nicht eine Landschaft darstellen oder wiedergeben will, sondern ganz individuelles Empfinden von Farben, Formen und Stimmungen schildert. Es spielt auch keine Rolle, ob die beiden Bilder plain air, also vor der Landschaft, entstanden sind oder ob sie im Atelier ihre Ausprägung fanden. Wichtig ist der expressive Stimmungsgehalt, der ein augenblickliches Gefühl, eine Aufhebung der Dinglichkeit, vermitteln will.
William Turner: Letzte Fahrt der Flighting Temeraire , 1838
und
Frieden – Bestattung auf See, 1842
Turner zeigt hier die Flighting Temeraire, das berühmte Schiff Lord Nelsons während ihrer letzten Fahrt zur Werft, um dort abgewrackt zu werden. Dieses britische Symbol für Tapferkeit gegen Napoleon ist vor einen süßlich wirkenden Sonnenuntergang gestellt, der Schiffskörper und die Masten leuchten ein letztes Mal im Sonnenlicht auf. Der einst mächtige Schiffskoloss wird von einem rußig rauchenden, keineswegs heroischen Schleppdampfer zum Trockendock gezogen. Die Glorie der nationalen Vergangenheit muss einem neuen technischen Zeitalter weichen. Nun gehört der Dampfschiffahrt die Zukunft. So sehr Turner bei den beiden Schiffen auf historische Genauigkeit achtete, so sehr lösen sich die weiteren Teile des Bildes in atmosphärische Licht- und Farbakzente und Formen auf. Die in Goethes Farbenlehre formulierte Grundpolarität Blau und Gelb scheint hier durch die Phänomene Sonne, Wolken und Rauch demonstriert.
Das Gemälde Frieden – Bestattung auf See ist ein Erinnerungsbild an seinen Malerkollegen David Wilkie, der auf seiner Rückreise von Palästina an Bord seines Schiffes nahe Gibraltar starb. Aus Angst vor Infektionen durfte der Leichnam nicht von Bord gebracht und musste in der See bestatten werden. Turner hat diesen Anlaß zu einem seiner erschütterndsten Bildwerke verarbeitet, indem er das Extrem visionärer Lichterscheinungen am Himmel, in den
Wasserspiegelungen und an der fernen Küste mit dem des schwarzen Dampfers, der zusätzlich tiefschwarze Segel trägt, kontrastierte. Auf die Frage, warum denn die Segel ausgerechnet schwarz sein müssten, soll Turner geantwortet haben: „Ich wünschte eine Farbe, mit der ich sie noch schwärzer machen könnte“. Wie ein apokalyptisches Zeichen treibt das Totenschiff, dessen kompakter Rumpf von jener goldfarbenen Stelle, an der der Leichnam Wilkies bei Fackelschein zu Wasser gelassen wird, optisch auseinandergerissen wird.
William Turner: Schneesturm, während Hannibal die Alpen überquert, 1812
und
Carl Rottmann: Kosmische Landschaft, um 1840
Bereits in seinen frühen Jahren löste Turner die Formen und Gegenstände zugunsten einer mystisch wirkenden Farbinszenierung auf. So auch 1812 bei dem Bild Schneesturm, während Hannibal die Alpen überquert. Wie eine Katastrophe zieht ein gewaltiger Schneesturm über die Alpen und über Hannibal und seine Mannen hinweg. Die trüb orangefarbene Sonnenscheibe wirft ein sonderbares Licht auf die wirbelnden Schneemassen. Es ging Turner hier um die Darstellung der unterschiedlichen Abtönungen des Lichts, aber auch um die Möglichkeit, selbst die Dunkelheit malerisch zu gestalten.
Ganz ähnliche Effekte auch bei Carl Rottmann, dem aus München stammenden Landschaftsmaler. Zwischen 1838 und 1850 führte Rottmann im Auftrag des bayerischen Königs Ludwig I. eine Serie von Griechenlandmotiven aus. Anlässlich des Befreiungskampfes der Griechen gegen die Türken waren derartige Sujets in Europa beliebt geworden und das zumal in Bayern, das 1832 mit Otto von Wittelsbach den ersten griechischen König stellte. Das Spätwerk Rottmanns prägen die sogenannten „Kosmischen Landschaften“, hier ein Beispiel aus seinem letzten Lebensjahr 1850, in einer kleineren Studie von 23 x 32 cm. Das zeitlich Endliche, die Verbindung von Erde-Natur-Kulturgeschichte wird relativiert im Kontext zu Ewigkeit und Universum. Das topographisch wiedererkennbare Motiv tritt weitgehend zurück, der Horizont ist tiefer gelegt und der alles umspannende, über die Horizontlinie hinausgehende Himmel beherrscht die Darstellung. Die Palette ist auf den Kontrast zwischen schwarzen Farbmassen und den dramatischen Gestalten des braun-grünlich-weißen Wolkenhimmels reduziert.
John Constable: Die Kathedrale von Salisbury, 1828
und
Karl Friedrich Schinkel: Mittelalterliche Stadt am Fluß, 1815
Neben Turner, als bedeutendsten Vertreter der englischen romantischen Landschaft ist aber noch John Constable zu nennen. Wie bei den deutschen Romantikern scheint hier das Gotteshaus als Symbol nationaler Geschichte und als Zeichen einer harmonischen Weltordnung zu fungieren.
Doch wie diesseitsbezogener und trotz aller Komposition auch nüchterner als z.B. Schinkels Kathedrale mit der Mittelalterlichen Stadt am Fluß von 1815, ist Constables Auffassung. Obwohl auch hier das Arrangement von Bäumen und Wolkenhimmel durchaus symbolhaltigen Charakter tragen kann. Doch scheint dies bereits zu viel gewesen sein. Der Auftraggeber, der Bischof von Salisbury beschwerte sich: „Wenn Constable nur die schwarzen Wolken weggelassen hätte.“ schriebs und schickte dem Maler die Leinwand zur Überarbeitung zurück. Bei Schinkel erhebt sich die phantastische Kathedrale wie eine sakrale Erscheinung über der üppig gestalteten Vegetation vor schwarzem Wolkenhimmel und der Regenbogen dient der Steigerung der mystischen Stimmung. Die menschenreiche Prozession, die sich feierlich auf die Kirche zu bewegt und die im Hintergrund liegende, wechselnd beleuchtete Stadt mit Fluß versetzen Schinkels Gemälde in den Rang einer Weltlandschaft.
John Everett Millais: Christus im Haus seiner Eltern, 1850
und
Johann Friedrich Overbeck: Magdalena salbt Christus die Füße, 1846
Relativ spät entwickelte die englische Malerei mit den Präraffaeliten nochmals einen weiteren Höhepunkt romantischer Tendenzen. Die 1848 in London gegründete Künstlergemeinschaft der Präraffaeliten griff, wie zuvor die Nazarener, auf die religiösen Formeln des Mittelalters zurück. Ihre Bildthemen konnten voll symbolischer Tragweite sein und die Motive entstammten der Literatur, der Bibel oder waren bei Shakespeare vorformuliert. Angesiedelt waren ihre Werke zwischen romantisch verinnerlichtem Traum, ideeller Ethik und einer zum Surrealen tendierenden Wirklichkeitsinterpretation.
In den konservativ-protestantischen Kreisen Englands erfuhr z.B. John Everett Millais Gemälde mit Christus im Hause seiner Eltern eine deutliche Ablehnung. Detailgenau ist die Schreinerwerkstatt dargestellt, in der sich ein kleiner Junge an einem Nagel die Hand verletzt hat. Die Reaktion der Angehörigen reicht von Mitleid bis zur praktischen Hilfe, erst das Bibelzitat erschließt den tieferen Sinn,die Handwunde erscheint als Vorankündigung der Passion. Charles Dickens empfand den jungen Christus abstoßend, er zeige seine Wunde wehleidig der Mutter, die ihrerseits so abscheulich in ihrer Hässlichkeit sei, dass sie selbst in einer englischen Schnapsbude überzeugend das Ungeheuer mimen könne.
In ihrer schlichten Darstellung von Personen und Raum kommt hier ein Vergleich mit Overbecks, Magdalena, die die Füße von Jesus salbt, 1846, in Frage. Jedoch strömt diese Darstellung eine Kühle und Distanz aus, die genau dem nazarenischen Geschmack entsprach. Selbst die zutiefst unterwürfige Haltung der Magdalena, die mit ihrem Haar Christus Füße trocken reibt, löst beim Betrachter keine peinliche Berührung, sondern ganz im Gegensatz Rührung und Devotio, also Mitempfinden aus.
John Everett Millais: Ophelia, 1852
und
Edward Burne-Jones: Das Schreckenshaupt von 1887
Nicht nur das Mittelalter oder die Heilslegende lieferten das Bildmaterial für die Präraffaeliten. In diesem Bild der Ophelia, das ebenfalls von Millais stammt, wurde auf eine Vorlage nach Shakespeare zurückgegriffen. Das Modell für die ertrinkende Titelheldin war die Ehefrau eines Kollegen, die dafür in einer Badewanne posieren musste. Millais hat malerische Präzision mit tiefer Imagination vereint. Ophelia treibt blütenbekränzt und singend den Fluss hinab,
wahnsinnig geworden und sich der Gefahr des Ertrinkens nicht bewusst. Eine geradezu mikroskopisch anmutende Nahsicht der Vegetation, verbindet sich, wie bei den Präraffaeliten häufig anzutreffen, mit einer Vernachlässigung der Tiefe und Raumentwicklung und wird somit zum Stimmungsträger einer seelischen Grenzsituation.
In einem sehr späten Beispiel des Präraffaeliten Edward Burn-Jones zeigt Perseus der Andromda das unheilvolle Haupt der Medusa, eigentlich ein rein antikes Thema. Jeder, der das Medusenhaupt erblickt, wird unverzüglich in einen Stein verwandelt, und um dieser Gefahr zu entgehen, betrachten die beiden das Spiegelbild in einem Brunnen. In einer weichen, wehmütigen Eleganz sind die Farben und Formen zu einem kostbaren Traum vereint. Die alterslosen, bleichen Gestalten verharren in einem blütenhaft, ornamentalen Raum, die Kostbarkeit der Stoffe und Materialien verweist auf kunsthandwerkliche Zusammenhänge und das übersteigerte Ornamentierungsbedürfnis lässt bereits an Tendenzen des Jugendstil denken.
George Loring Brouwn: Berglandschaft, 1846
und
William Louis Sonntag: Klassische Landschaft, 1858
Über die englische Schiene gelangten romantische Inhalte und Gestaltungsprinzipien auch in die USA. Insbesondere die wilde unberührte Natur Nordamerikas galt den Pilgervätern als erhabene Manifestation des Göttlichen und ab der Hälfte des Jahrhunderts wurde die Landschaft zum bevorzugten Medium der romantischen Malerei und zum Chiffre für Amerika als irdischem Paradies. Ganz allgemein betrachtet, sind diese Landschaften der amerikanischen Maler noch stark den klassischen Kompositionsprinzipien der barocken römischen Landschaftskunst verbunden, doch die genauere Betrachtung ergibt ein anderes Bild.
George Loring Brouwns Berglandschaft stammt von 1846 und hier ist die Raumillusion in jeder Hinsicht übersteigert und das Motiv einer wilden, von gewaltigen Bergen umschlossenen Gegend ist rein erfunden.
Der Amerikaner William Louis Sonntag hielt sich einige Male in Italien auf, trotzdem strahlt seine Klassische Landschaft von 1858 eine eigenartig visionäre Wirkung aus, da sie eine paradiesisch anmutende Natur von unermesslicher Ausdehnung mit einer eindringlich illusionistischen Malweise und einer intensiven, gekünstelten Farbgebung kombiniert. Die Vegetation scheint dschungelartig verwachsen, selbst die ruinenhaften Monumente sind von pflanzlichem Gewucher überdeckt und verschlungen. Einzig die Ruine eines Rundtempels, hier ist natürlich Tivoli gemeint, versinnbildlicht ein italienisches Motiv. Und doch haben wir hier eine ganze Reihe romantischer Reminiszenen, wie die tief im Erdreich versunkenen schwarzen Kellergewölbe und überhaupt die alles überwuchernde Natur, die dem Menschen noch immer seine Bedeutungslosigkeit vor Augen hält.
Ich selbst sehe in diesen Landschaften darüber hinaus eine intensiv künstliche Kulissenhaftigkeit, die sich vor allem in der Malerei äußert. Beide Maler arbeiteten mit extremen Lichtreflexen, die sie in Form von punktartigen Weißhöhungen in unendlicher Anzahl an die Vegetation, die Monumente, die Silhouetten setzten um dadurch den Dunkelkontrast in einer theatralischen Weise zu verstärken.
George Bingham: Pelzhändler auf dem Missouri, 1845
und
Frederic Edwin Church: Niagarafälle, 1857
Während diese Maler sich einer weitgehend unberührten Natur widmeten, schilderten andere ganz genrehaft das Alltagsleben auf dem Lande. Bingham erinnert in seiner kleinen Szenerie an die bereits vergangene Zeit der Pelzhändler und Fallensteller, hier bringen zwei Männer die selbst erlegten Pelze in einem primitiven Einbaum zur nächsten Handelsstation. Die Komposition ist sehr ausgewogen und die atmosphärischen Werte mit großer Sensibilität erfasst. Das im Schatten liegende Boot, mit der als Scherenschnitt wiedergegebenen Katze, liegt im Schatten vor einer im Dunst verschwimmenden Flusslandschaft. Diese scheinbar intime Behandlung gibt dem Bild eine innere Größe, die weit über die konventionelle Genremalerei hinausreicht.
Mit den Niagarafällen von Frederic Edwin Church, 1857, gelang hier aber abschließend noch einmal das ganz große, bedeutungsschwere Landschaftserlebnis. Dieses Gemälde wurde zu einer der Ikonen amerikanischer Malerei, von der Kunstkritik als Symbol der jungen Nation gedeutet. Das extreme Breitformat, der vehemente Verlauf der abstürzenden Wassermassen
und der das ganze Bild durchziehende Horizont veranschaulichen die Monumentalität dieses gigantischen Naturschauspiels und die Ohnmacht des Menschen gegenüber dieser Ausprägung von Natur. Und dies in einer Zeit, in der in Amerika der unkontrollierte Raubbau an der Natur und der durch den Menschen wissentlich erfolgten Zerstörung von Natur, bereits die ersten sichtbaren Zeichen gesetzt hatte. So kann dieses Gemälde, und jetzt wieder ganz romantisch, auch als Mahnung an den Menschen verstanden werden.
Die Romantik sah sich selbst als die neue Mythologie des modernen Europa, als eine Art Zusammenfassung und progressive Weiterführung dessen, was Europa seit dem christlichen Mittelalter gedacht und geschaffen hatte, um das menschliche Subjekt zu emanzipieren, ihm eine sinnvolle Heimat zu geben in einer Gegenwart, die durch politische und industrielle Revolution diese Sinnfrage um so notwendiger machte. Demnach war die Romantik, bei allem Weltschmerz zumindest anfänglich in ihren besten Werken nicht identisch mit gefühlsduseliger Selbstaufgabe des Menschen. Sie ist vielmehr von dem Optimismus einer Aufbruchstimmung getragen und von einem Ideal, das Religion, Philosophie, Politik, Kunst, Psychologie und Einzelschicksale auf eine neue sinnvolle und zukunftsweisende Ebene heben wollte. Erst als diese Ideale an der politischen und ökonomischen Realität scheiterte, verwandelte sich die Romantik in das beschaulich wirkende und rückwärts gewandte Biedermeier.
Landschaft und Mensch
Malerische Naturerfahrung und Darstellung zeitgenössischer Charaktere bei Johann Georg von Dillis und Carl Blechen
Vortrag zum Salonabend der Carl Blechen Gesellschaft
am 29. Oktober 2004
Schloß Branitz
Pressetext
Der Maler Johann Georg von Dillis (1759-1841) und sein um eine Generation jüngere Kollege Carl Blechen (1798-1840) gelten heute neben Caspar David Friedrich als die bedeutendsten Vertreter der deutschen Landschaftsmalerei im frühen 19. Jahrhundert. Wenn beide sich auch nicht persönlich kannten, so sind doch große Ähnlichkeiten in ihren Werken zu entdecken. Beide hatten ihr künstlerisches Schlüsselerlebnis in Italien, wo sie lernten, Licht, Luft und Atmosphäre in ihren Bildern zu thematisieren. Ihr stimmungsvoller Blick auf die Natur war einzigartig in der damaligen Zeit und die Darstellung und Charakterisierung des menschlichen Individuums nimmt ebenso bei beiden einen großen Stellenwert ein. Große Einfühlsamkeit und besonders der Respekt vor Mensch und Natur prägen das zeichnerische Werk der beiden Künstler.
Während Johann Georg von Dillis als königlich bayerischer Hofbeamter nicht um sein Überleben kämpfen musste und die Malerei zum eigenen Vergnügen und ganz im Privaten betreiben konnte, musste Blechen stets um Anerkennung und Sicherung seiner Existenz ringen. Ganz im Gegensatz zu Blechen, dessen Leben viel zu früh und auf tragische Weise endete, konnte Dillis auf ein langes Leben voll künstlerischem Schaffen und in verantwortungsvoller Position im Umfeld König Ludwigs I. von Bayern zurückblicken. Die Münchner Kunsthistorikerin Dr. Barbara Baumüller stellt in einem Diavortrag die beiden Künstler vor, erläutert deren künstlerische Entwicklung und vergleicht mehrere Hauptwerke.
Porträts von Dillis (1790) , 31 Jahre alt, Federzeichnug der Gräfin Baumgarten, Dillis 35 Jahre alt, 1791
und
Carl Blechen, Selbstporträt, um 1810, im Besitz der Carl-Blechen-Sammlung, Schloss Branitz, Cottbus
Heute möchte ich Sie mit einem Gegensatzpaar konfrontieren. Es handelt sich um zwei Maler, von denen jeder für sich an der Schwelle einer Zeitenwende und des Umbruchs stand. Sie kannten sich nicht, obwohl sie beide in Italien waren und gerade dort auch die Erfüllung mancher Sehnsüchte und malerische Schlüsselerlebnisse für ihre Naturauffassung fanden.
Johann Georg von Dillis lebte von 1759 bis 1841 und Carl Blechen von 1798 bis 1840. Man kann also sagen, beide trennte genau eine Generation und doch ist beider Leben auch von den politischen und sozialen Umständen ihrer Zeit geprägt. Sie erlebten die Jahre des napoleonischen Imperiums und den damit verbundenen Wandel in Europa, das völlig neun gestaltet wurde. Danach kamen die Befreiungskriege und der Wiener Kongress, erneute Gestaltung der europäischen Staaten. Was man danach vielleicht einen bürgerlichen Aufbruch nennen könnte, ich meine das Wartburgfest von 1817, endete in der Restauration, also dem politischen Stillstand und dem Rückzug jeglichen Individualismus. Die Schattenseiten der frühen Industrialisierung, eine damit verbundene Landflucht und auch die Beeinträchtigung der Umwelt waren damals genauso Thema wie z. B. die erste Eisenbahnfahrt, die 1835 stattfand.
Beide entstammen eher kleinbürgerlichen Verhältnissen: Dillis war das zweitgeborene Kind eines kurfürstlichen Revierförsters in der Nähe von München und Blechen, wie ja bekannt, entstammte einer Cottbuser Beamtenfamilie. Während Dillis jedoch zusammen mit seinen 10 Geschwistern eine ländlich-behütete Kindheit erlebt, hat Blechen schon früh unter zerrütteten Familienverhältnissen zu leiden. Die Ehe der Eltern wird schließlich geschieden, der Vater, vielleicht depressiv veranlagt, schied 1821 durch Suizid aus dem Leben.
Beide müssen zunächst einen recht ungeliebten Beruf erlernen. Blechen geht nach Berlin in die Banklehre und Dillis absolviert in Ingolstadt ein komplettes Theologiestudium. Und beide brechen schließlich diesen Weg ab, um sich ganz auf das eigentliche Talent, die Malerei, zu konzentrieren, trotz des großen Risikos und finanzieller Unsicherheit. Dillis lässt sich sogar von seinen theologischen Pflichten dispensieren und verdingt sich als privater Zeichenlehrer in Münchner Adelsfamilien. Dort wird er ganz unterschiedlich mit dem Leben der Höfischen Gesellschaft konfrontiert: einerseits als gleichberechtigt angenommener Freund und Gesprächspartner, andere Familien behandelten ihn jedoch wie einen Dienstboten.
Jetzt tritt in beider Leben die entscheidende Persönlichkeit, die neue Wege ermöglicht: Der in bayerischen Diensten stehende amerikanische Forscher und Politiker Sir Benjamin Thompson, Graf Rumford, erkannte frühzeitig das malerische Talent des nun schon 27jährigen Dillis und ermöglichte ihm Studienaufenthalte in Dresden, Wien und Prag. Durch seine Vermittlung bekommt Dillis 1790 eine Anstellung als Inspektor in der kurfürstlichen Bildergalerie in München. Mit dieser Beamtenstellung ist die finanzielle Unabhängigkeit gesichert.
Der junge Blechen kann mit der Hilfe Karl Friedrich Schinkels seine Position als selbständiger Künstler begründen. Er ist nun 26 Jahre alt, hat seit 1824 eine Stelle als Dekorationsmaler am Königstädter Theater in Berlin und nimmt erstmals mit einem Landschaftsgemälde an der Berliner Akademieausstellung teil.
Dillis: Et in Arcadia ego, um 1790, Aquarell
Blechen: Gebirgsschlucht im Winter, 1825, Öl auf LW
In ihren Anfängen unterscheiden sich die beiden Künstler noch ganz grundlegend. Das hat aber mit ihren frühen Prägungen und Ausbildungen zu tun.
Zunächst zu Dillis:
Dieses große Aquarell von etwa 50x40 cm ist ein Stück Naturaufnahme ganz in der Tradition der barocken Pastorallandschaften: Das Bild dominiert eine mächtige Baumgruppe, die in einer englischen Gartenlandschaft steht. Unter den Bäumen lagern Hirtenjungen, einer spielt die Flöte, rotbunte und braune Rinder ergötzen sich an den saftigen Wiesengründen. Im Hintergrund ein antiker Tempel. Ein Paradies für Mensch und Tier! Dieses Bild ist nicht direkt vor der Natur entstanden, sondern es ist eine Komposition im Atelier. Es zeigt keine bestimmte authentische Ansicht, sondern eine ideale Vorstellung von freier Natur, wie sie im Englischen Garten z.B. in München kunstvoll gestaltet ist. Es ist ein unscheinbares Detail, das die Harmonie stört. Am linken unteren Bildrand liegt ein von Pflanzen überwucherter Ruinenrest, ein traditionelles Symbol für Vergänglichkeit, mit der Inschrift: „Et in Arcadia ego“. Arkadien galt schon seit der Antike als das Sehnsuchtsland, in dem Mensch und Natur in friedlichem Einklang mit einander leben. Johann Wolfgang Goethe hat schließlich dieses paradiesische Arkadien mit Italien gleichgesetzt. Die Inschrift ist ein Memento mori, der Tod verschont auch dieses Sehnsuchtsland nicht. Da wir aber schon lange nicht mehr im Barock sind, hat Dillis die Todessymbolik stark gemildert und vor allem den malerischen Natureindruck in den Vordergrund gerückt. Die ungewöhnliche Größe und die umlaufende Ränderung legen den Schluss nahe, Dillis habe dieses bildmäßige Aquarell entweder als Geschenk oder zum separatem Verkauf gedacht.
Blechens Natureindruck und Symbolinhalte sind über dreißig Jahre später schon wieder bedeutend stärker und direkter:
Sie kennen alle seine Gebirgsschlucht im Winter, in der Berliner Nationalgalerie und die Studie in Branitz. Das Gemälde ist vermutlich seine erste vollendete Landschaft im großen Format (etwa 1 x 1,30 ). Vor einer tiefen Schlucht steht ein abgestorbener Baum mit spinnenartig auskragenden, zersplitterten Ästen. Neben dem Baum ein Bildstock mit einer Madonnenstatue. Ganz tief im Hintergrund leuchten die beiden hellen Fenster eines Hauses wie zwei Augen aus der Dunkelheit. Dorthin möchte der Wanderer, dort findet er Schutz, doch der Weg ist ihm durch den Baum und vereiste Felsblöcke verwehrt. Gibt das Marienbildnis Hoffnung?
So früh treffen wir hier eine Grundkonstante in Blechens Werk an: In der Komposition wird zunächst eine düstere, bedrohliche Stimmung erzeugt, die dann doch nur die Option der Erlösung anbietet. Aber anders als bei Caspar David Friedrich wird das religiöse Instrument (Madonnenstatue) nicht zum Zeichen der Erlösung, sondern ist selbst ähnlichen Bedrohungen ausgesetzt wie der Betrachter (Wanderer).
Claude Lorrain, Landschaft mit Biblischen Gestalten, 1676, Öl/LW Caspar David
und
Friedrich, Winterlandschaft, 1811, Öl/LW, Schwerin
Die Prägungen sind eindeutig und sollen von mir nur angedeutet werden: Der römische Maler Claude Lorrain hatte in der Mitte des 17. Jahrhunderts seinen Landschaften einen idealen Charakter gegeben. Seine Gestalten leben an Orten, die besonders durch ihre landschaftliche Schönheit und Harmonie charakterisiert sind. Hirtenszenen, üppige Vegetation, charakteristische Baumgruppen, bedeutende architektonische Denkmäler, ein langsames, harmonisches, sich im Dunst des Bildhintergrundes auflösendes atmosphärisches Motiv. Und alles in einem hellen, zuversichtlichen vertrauensvollen Morgenlicht. Dillis kannte natürlich Bilder von Lorrain, und wie viele seiner Kollegen hat er sich nach dessen Idealkompositionen geschult. Blechen wiederum kannte wahrscheinlich Friedrich, von dem die hier gezeigte Winterlandschaft von 1811 stammt, hier ist der Mensch ganz direkt der drohenden Landschaft und den Tod verheißenden Bäumen ausgeliefert. Jedoch ist die winterlich kalte Landschaft hell ausgeleuchtet und der linke Baum zeigt welke Blätter, es steckt also doch noch Leben in ihm! Blechen war vielleicht in dessen Dresdner Atelier und hat sicherlich zu Beginn seiner künstlerischen Ausprägung das formale Vorbild Friedrichs durchaus wirken lassen. Schnell verließ er aber dessen, im gewissen Sinn leicht zu durchschauendes Konzept (starke Natur, schwacher, hilfloser Mensch, ein Verlieren in Zeit, Religion und Geschichte, sich ankündigender Nationalismus) um ganz individuelle Lösungen mit all den Brüchen in seiner doch noch so jungen Persönlichkeit zu finden.
Dillis, Blick auf St. Peter, Öl/Papier, 1818
Blechen, Lichtbewölkter Himmel m. Kuppel, Ölskizze, 1829
Beide Künstler waren natürlich auch in Italien. Solch eine Künstlerreise gehörte verpflichtend zur fachlichen Bildung eines Malers. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich eine große Zahl deutscher Maler und Literaten für einige Zeit im „Land, in dem die Zitronen...“ niedergelassen. Es waren vor allem die malerische Landschaft und die geschichtsträchtigen Monumente, die besonders Rom zu einem beliebten Künstlerstandort machten.
Dillis reist 1794 erstmalig nach Rom; im Laufe seines 82 Jahre dauernden Lebens wird er die Stadt noch weitere 17 mal besuchen. Die erste Reise konnte durch eine Art Stipendium dank der Vermittlung Rumfords finanziert werden. 1806 lernt er dann in Rom den schwärmerischen Kronprinzen Ludwig, den späteren König Ludwig I., kennen, wird fortan sein Reisebegleiter, der einerseits viele Orte zeichnerisch als Erinnerungen festhält und andererseits auch durch sein immenses historisches und kunsthistorisches Wissen beeindruckt. Dillis wird zum Berater und Kunstagenten seines späteren Königs und auf eine Vielzahl von Dienstreisen nach Italien geschickt, um dort Schätze des Altertums und vor allem der Renaissance für dem bayerischen Hof einzukaufen.
Ganz anders gestaltet sich der einmalige Aufenthalt Blechens in Italien. Nach dem Zerwürfnis mit Henriette Sonntag verlässt er ja bekanntlich das Berliner Theater, kann auf Akademieausstellungen auch einiger seiner Bilder verkaufen. 1828/29 dann die selbstfinanzierte Reise zunächst nach Rom, anschließend an den Golf von Neapel mit Pompeji, Sorrent und Capri.
Dillis´ Romansicht gehört mit drei weiteren zu seinen bedeutendsten Werken. Er schuf diese Ansichten 1818 von der Villa Malta aus, die Ludwig für sich und seine Künstlerfreunde gekauft hat. Die Besonderheit liegt in den völlig naturgemäß erfassten Lichtverhältnissen, in denen die Stadtlandschaft mit einem tonig abgestuften Kolorit und in sanft fließenden Übergängen vom dunstig verschleierten Vordergrund bis zum hellen Bildhintergrund mit den ausgeleuchteten Monumenten dargestellt wird. Hier wurde ein akademisch ordnendes Kompositionsprinzip vollkommen aufgegeben zugunsten der Schilderung der Realität, die topographischen Verhältnisse genauso berücksichtigt wie die Stimmung der gewählten Tageszeit. Der Reiz dieser Sicht auf San Peter liegt in der weichlinigen Modulation der architektonischen Körper, dem im leichten Dunst der Morgensonne höchst transparent gemalten Gewirr von Häusern und Dächern und den vor dem Himmel sich abzeichnenden Monumenten der Stadt.
Wie anders dagegen Blechen, zugegeben in einer hier nicht vollendeten Studie. Die Architektur ist bis auf die Kuppel vollkommen negiert, es geht hier nur noch um die Erinnerung an das Monument, den Petersdom, den jeder sofort erkennt. Eine flüchtige Skizze, die trotzdem den Raum und die atmosphärische Wirkung des Himmels akzentuiert.
Dillis, Blick von der Villa Malta auf den Quirinal, 1818, Öl /LW
Blechen, Die Werkstatt des Bildhauers Rudolf Schadow in Rom, 1830
Viel näher kommen sich die beiden, wenn es sich um die Darstellung privater Wohnstätten in Rom handelt.
Dillis Blick auf den Quirinal lebt von dem Kontrast zwischen der hell und heiß beleuchteten Außenlandschaft und dem warm verschatteten Innenbereich der Laube. Es fällt ein moderner Pinselstrich auf, sowohl Architektur als auch Vegetation sind schnell mit dem dicken Pinsel gesetzt, es zählen der farbliche Kontrast und die atmosphärischen Wirkungen.
Auch bei Blechen finden wir einen Innen/Außenraum: Die Pergola vor der Werkstatt des wenige Jahre zuvor verstorbenen Rudolf Schadow, eines Sohnes des berühmten Bildhauers Johann Gottfried Schadow. Auch hier das helle Licht und die von den Wänden reflektierte Hitze. Die Vegetation ist Farbfetzen gleich in hellem Grün angelegt. Auch Blechen arbeitet mit dem schnellen, dicken Pinsel. Eine Arbeit, die ebenso wie bei Dillis vor Ort geschaffen wurde. Und sie hat ebenso einen Erinnerungswert. Hier soll an den Verstorbenen gedacht werden. Dient die schwarze Türöffnung diesem Ansinnen?
Trotz der Nähe in der malerischen Auffassung, erkennen wir doch Unterschiede in den Intentionen. Dillis Ansinnen ist sachlich, zwar durchaus malerisch, jedoch komplett sentiment- und symbolfrei.
Blechen, Drei Fischer am Golf von Neapel, 1835, Öl/LW
Dillis, Neapolitanische Fischerknaben, Bleistift/Aquarell
Von der räumlichen zur persönlich/menschlichen Nähe ist der Schritt nicht weit. Menschendarstellungen und Menschenbeobachtungen gehören zur elementarsten Disziplin in der Malerei des 19. Jahrhunderts. In Italien ergaben sich für die Künstler jede Menge pittoreske Szenen, die Unterschiede machen sich erst in der Ausdeutung bemerkbar.
Blechens Szene der drei Fischer, von denen einer die Mandoline spielt, die in grellem Abendlicht versonnen auf das Meer und den unwirklich übersteigert blauen Himmel hinausblicken, bleibt ungewöhnlich. Wir treffen hier auf Farbkontraste (die roten Mützen, die weißen Hemden ) wie sie uns später erst wieder die Deutschen Expressionisten bieten. Ist hier das Alleinsein und doch in der Gemeinschaft das Thema, oder ist es Melancholie angesichts der Pracht der Natur?
Bekannt ist das Thema und der Ort als reine Genreszene auch bei Dillis. Seine flüchtige Bleistiftzeichnung zeigt uns ganz unromantisch und sehr diesseitsbezogen die reine Arbeitswelt der Caprifischer. Ihn hat wohl weniger die Stimmung als mehr die eigenwillige Arbeitstracht interessiert, er kann die Mützen gar nicht abwechslungsreich genug variieren.
Blechen, Bocciaspieler in Subiaco, Feder/Aquarell, 1829
Dillis, Steinesammler, Feder/Aquarell, 1796
Bei Blechen jetzt eine reine Situationsschilderung. Ein großer Dorfplatz, bocciaspielende Leute, Zuschauer, alles in hellem Licht, ruhige Gelassenheit des einfachen Volkes. Perfekt die Pinselführung, mit wenigen Strichen wird die Figur ausdrucksstark gebildet.
Einfaches Volk auch bei Dillis: Zwei Frauen packen Steine in einen Sack, eine weitere Frau, barfuß, sitzt, dumpf vor sich hin sinnend daneben, wohl in tiefer Erschöpfung, mit dem leeren Sack auf den Knien. Ein Mann mit Schürze dahinter scheint eine Vorarbeiterposition inne zu haben. Dunkle, gedeckte Aquarellfarben.
Hier treffen wir auf eine völlig neue Form der Kritik und schonungslosen Darstellung der sozialen Umstände. Er greift ein Genre auf, das in der deutschen Malerei, z. B. mit Menzel, erst 30 – 40 Jahre später aufgegriffen wird. Dillis entstammte selbst eher einfacheren Verhältnissen, hatte also ein feines Gespür für soziale Missstände. Bereits vor seiner ersten Italienreise hat er in München diese Beobachtungen in einer ganzen Reihe von Aquarellen festgehalten. Er erhebt ein Motiv zum Bildgegenstand, das bislang völlig unbekannt ist. Dabei sprach er mit den Leuten, erfuhr ihre Namen und erfragte ihre Situation. Sein Interesse an der armen Stadt- und Landbevölkerung sollte er sein Leben lang beibehalten. Die dargestellten Persönlichkeiten gehören zwar den unteren sozialen Schichten an, sind aber in ihrer Menschlichkeit ernst genommen und allein aus diesem Grunde auch bildwürdig.
Blechen, Junge Italienerin auf einem Stuhl sitzend, 1829, Öl/Papier
Dillis, „Wahnsinniger“, 1790, Pinsel/Kreidezeichnung
Auch das einzelne Individuum fesselte die Künstler der damaligen Zeit, bei unseren Beiden aber nicht unbedingt das Standesporträt, sondern der einfache Mensch ohne Attitüde.
Blechens junge Italienerin ist eine schlanke, fast zart wirkende Person, sitzend auf einem sehr grazilen Stuhl. Leider kann ich dieses Bild nicht in Farbe zeigen. Sie müssen sich das grüne Kleid mit blauer Schürze vorstellen, vor einem rosa-bläulich gehaltenen Hintergrund. Das extreme Hochformat macht die Gestalt noch länger und ausgezehrter und anrührender. Die Frau ist voll und ganz in sich zurückgezogen, ein Kontakt mit der Umwelt findet nicht statt. Der vehemente und breite Pinselstrich fasst die Formen im Großen zusammen, keine Binnengliederung. Das wie versteinert wirkende Gesicht lässt in seiner überaus modernen Sicht tatsächlich an den frühen Picasso denken.
In sich zurückgezogene, fast autistisch wirkende Menschen waren wohl auch für Dillis spannend: In diesem Fall ein Wahnsinniger, der in Halbfigur hinter einem runden Tisch sitzt. Der starre Blick, das zerzauste Haar, der verkniffene Mund, die unruhigen Hände. Die fahrige, wie vibrierende Zeichnung verstärkt den Eindruck noch. Dillis wendet sich solchen Menschen, die am Rande oder außerhalb der Gesellschaft stehen, in neuer Weise zu. Diese Art von Porträts zeigen ein Angerührtsein von Armut, Alter, Krankheit ohne jeden moralisierenden oder wertenden Beigeschmack. Es geht ihm um die charakteristische Ausprägung des Menschseins, um die Anerkennung ausgeprägter Individualität bei Personen, denen bis dahin die Bildfähigkeit abgesprochen worden war.
Dillis, „Meyer von Pöring“, 1790, Aquarell
Blechen, Francesca Primavera, 1829, Öl/Pappe
Auch dem sogenannten Standesporträt können unsere beiden Künstler eine ganz neue Wertigkeit verleihen.
Beim „Meyer von Pöring“ drückt sich durch die Farbigkeit des frontalen Kopfes eine geradezu cholerische Vitalität auf. Der Dargestellte ist aktiv an einem Gespräch beteiligt. Die Lippen sind zum Sprechen leicht geöffnet, die erhobene Hand unterstreicht die Rede, dies spiegelt die Unmittelbarkeit und Spontaneität des Augenblicks. Die Farbigkeit des Gesichts ist Ausdruck des sicherlich heftigen Temperaments dieses bayerischen Urgesteins. Die spontane Momentaufnahme wird durch die blau-grüne Farbe der Kleidung und die hektische Rotfärbung des Gesichts spannungsreich kontrastiert.
Natürlich darf auch eine „Schöne Italienerin“ bei unseren Beispielen nicht fehlen. Sie liefert uns Blechen. Diese Francesca Primavera aus Rocca Priore saß verschiedenen Malern immer wieder Modell. Stattlich ist Figur und Kleidung der Jungen Frau. Eine schwere Korallenkette und lange Ohrgehänge schmücken sie. Und doch liegt auf ihrem Gesicht ein schweigend abweisender Ernst. Der Blick ist zwar aus dem Bild heraus, aber nicht auf den Betrachter gerichtet. Das Kopftuch krönt die Gestalt wie ein Giebel und spiegelt die Handhaltung wieder. Das Bild ist seelenvoll und intim zugleich.
Blechen, Park von Terni mit badenden Mädchen, 1835, Öl/LW
Dillis, Frauengespräch am Tisch, 1790, Feder/Aqua
Wie nähern sich beide Maler dem Thema „Frauen“ ? Eine gezielte Frage, denn hier scheinen beide doch ihre Probleme gehabt zu haben.
Dillis heiratet nie, über engere Beziehungen gibt es nur Gerüchte, in München lebte er in einer Art Wohngemeinschaft mit Familienmitgliedern und jüngeren Kollegen zusammen. Blechen wiederum hat eine zehn Jahre ältere Frau geheiratet, die letztendlich von seiner schweren Krankheit, die den Mitte Dreissigjährigen heimsuchte, völlig überfordert war.
Als Beispiel zeige ich die Badenden Mädchen im Park von Terni aus dem Jahre 1835.
Die Mädchen wollen in einem stillen, schattigen Waldteich baden, sie sind keine Nymphen, sondern Italienerinnen der Gegenwart, die ihre Kleider auf einem großen Stein abgelegt haben. Die weiblichen Akte werden also nicht, wie bisher üblich, in mythologischer Distanz vorgeführt, sondern Blechen suggeriert dem Betrachter, solche Szenen könne man in der italienischen Landschaft tatsächlich sehen. Das Bild ist jedoch kein gefälliges Genrestück mit voyeuristischem Beigeschmack. Der Betrachter, der auf dem Weg im Vordergrund zu denken ist, sieht nicht nur ein reizendes Bild, sondern er löst Furcht aus, die im Zusammenhang mit der landschaftlichen Umgebung, mehr ist als harmlose Neckerei ist. Dies ist eine existentielle Bedrohung.
Auch Dillis ist ein Frauenbeobachter. Ihn interessiert aber eher die Darstellung und Analyse der weiblichen Gefühlswelt. Zwei Frauen, zwischen sich ein jüngeres Mädchen, sprechen auf sehr eindrucksvolle Weise miteinander. Das Beziehungsgeflecht entwickelt sich vielfältig in der Zuwendung und Neigung der Köpfe, den Blicken und Berührungen. Ausdrucksstark vor allem die rechte Frau, die mit erschüttertem Gesichtausdruck die Linke anblickt. Die Feder konturiert rasch und gezielt. Sie charakterisiert treffsicher die Gesichter mit den Augenpartien, Nase, Mund, dem mimischen Spiel der Falten und verleiht dem Ausdruck eine Präzision von exakter Wirklichkeits- und Empfindungsnähe. Es gibt meines Wissens in der europäischen Kunst dieser Zeit keinen Zeichner, der Frauen, ihre Beziehungen zueinander und ihren Umgang miteinander, in ähnlich ergreifender und künstlerisch kühn zupackender Weise gesehen und wiedergegeben hat.
Blechen, Meeresküste mit Pinie im Vordergrund, 1829, Öl/Papier
Dillis, Sonnenuntergang bei der Villa Aldobrandini bei Frascati, 1832, braune Feder/Aquarell
Bei aller Faszination der menschlichen Beobachtung sollten wir jedoch nicht vergessen, dass unsere beiden Maler sich selbst vor allem als Landschafter betrachteten. Daher also wieder nach Italien, wo ich erneut die Frage nach Ähnlichkeiten in der Bildfindung und in der Naturauffassung stellen möchte.
Die als Solitär behandelte Pinie, die als Leitfigur den Blick in eine weite Küstenlandschaft bis hin zum fernen Gebirge lenkt, ist ein häufiger verwendetes Motiv bei Blechen. Diese Bäume sind für die Landschaftsmaler der Zeit zum Leitmotiv einer hellen, weitläufigen, arkadischen Ideallandschaft geworden. Bei Blechen sind die Formen des Baumes und seiner Umgebung nur skizzenhaft angedeutet. Es scheint Bewegung in den Wipfel des Baumes gekommen zu sein, während das Umland, die helle Fläche des nur in einem Segment sichtbaren Hauses, die Küstenebene mit den kleinen Olivenbäumen und die Meeresfläche in satten Farben gestrichen daliegen.
Dillis zeigt etwa gleichzeitig Garten und Brunnenanlage der Villa Aldobrandini in Frascati mit einem Ausblick nach Osten auf das Meer bei Sonnenuntergang. Die runde Sonnenscheibe steht über dem Horizont zwischen den beiden hohen und äußert markanten Pinien, im Garten bewegen sich Menschen, deren Umrisse mit runder Feder kurz festgehalten sind. Ohne jede Detailgenauigkeit sind die wesentlichen Formen von Palast, Menschen, Bäumen und Landschaft erfasst.
Es ist aber vor allem die Farbgebung, die Assoziationen zu Blechen erlauben. Teile des Papiergrundes wurden mit sehr wässriger, gelb-rötlicher Aquarellfarbe getönt, er gibt die Farbstimmung des im Gegenlichts rötlichen Sonnenunterganges. Aber es ist eher der Farbauftrag, der an Blechen erinnert. Die verwischten Wipfel der Pinien. Hatte Dillis Kenntnis von Blechens Naturauffassung? Als er im Jahre 1832 zum letzten Mal in seinem Leben in Rom weilte, kann die Erinnerung an das ungewöhnliche Talent von Blechen noch bei anderen malenden Zeitgenossen präsent gewesen sein. Hat Dillis möglicherweise Blätter von Blechen gesehen, die dieser an deutsche Malerkollegen in Rom verschenkt hat?
Dillis, Der Hirschgarten, um 1834, Öl/Papier
Blechen, Waldlichtung, um 1837, Öl/LW
Es kann aber auch andererseits wieder vollständig auseinander gehen. Hier das Thema Wald in beinahe gleicher Zeit. Es sind beides späte Werke, jedoch ist Blechen erst 39 Jahre alt, während Dillis schon 75 ist.
Sein ganzes Leben lang war Dillis von momentanen Stimmungen, dem Tageszeitenwechsel, natürlichen Lichtsituationen begeistert. Trotz flüchtiger Malweise sind doch die Baumstrukturen und vor allem die räumlichen Verhältnisse in diesem Wäldchen nahe dem Englischen Garten genau erkennbar. Birken, Kiefern, Eichen, Tannen; die malerische Stimmung liegt im abwechslungsreichen Grün, in den nur hingetupften Menschen und Tieren, im kleinen spiegelnden Wasserlauf links. Eine ganz persönliche Schilderung eines frühherbstlichen Nachmittags.
Blechens Waldlichtung gibt eine ganz andere Stimmung wieder:
Hinter einem mächtigen Felsblock verbergen sich zwei Jäger, wovon einer in diesem Moment auf zwei Rehe anlegt, die gerade auf die Lichtung treten. Dieses Jagdbild kann keinen Jäger begeistern. Die bizarren Formen und der schrille Farbklang, dazu die zerrissenen, beinahe stürzenden Bäume sind Ausdruck des von den Jägern ausgehenden, den Tod verheißenden Schreckens.
So lebensbejahend und frisch Dillis Waldschilderung ist, so angst erzeugend ist das Thema Wald bei Blechen behandelt.
Blechen, Blick auf Dächer und Gärten in Berlin, um 1833, Öl/Papier (10 x 19)
Dillis, Münchner Dächer, vor 1806, Öl/Papier (25 x 40)
Diese beiden Ölskizzen sind von den Malern in etwa dem gleichen Alter geschaffen. Dillis ist Ende 40, Blechen Ende 30 Jahre alt. Die Heimatstadt gesehen aus den Fenstern der eigenen Wohnung.
Wir treffen bei Blechen auf eine eher triste Hinterhofatmosphäre und bäuerliche Umgebung (Heute Ecke Koch/Friedrichstraße). Blechen mag in diesem Milieu das völlig Glanzlose seiner Existenz empfunden haben. Dies ist, anders wie oft behauptet, keine impressionistische Idylle, auch wenn die impulsive Malweise dies andeuten mag.
Dillis Dachlandschaft in München deutet auf einen Wohnbereich mitten in der Stadt, wohl in der Nähe der Königlichen Residenz und nicht weit von seiner Arbeitsstätte, der Hofgartengalerie. Ein Himmel in duftigen hellen Farben, typisch münchnerisch eben, die Gebäude mehr oder weniger klar definiert, aber deutlich zuzuordnen, buschige Vegetation. Eine sachliche, flüchtige Wiedergabe. Dillis war auf dem positiven Weg seiner beruflichen Karriere, sein König liebte und schätzte ihn. Der einzige Verdruss war aber sicher, dass er kaum noch Zeit fand, zu malen und zu zeichnen. Der tatsächliche Frust und auch die beruflichen Einbrüche, die Dillis sehr wohl auch erleben sollte, fanden erst später statt.
Auf jeden Fall ist bei beiden das Bildthema ungewöhnlich gewählt und bislang in der Kunst unbekannt. Wer interessierte sich schon für die Wohnumgebung der Maler? Solche Bilder entstehen nur zur privaten Erinnerung. Erst Menzel sollte nach der Mitte des Jahrhunderts das Thema erneut aufgreifen und salonfähig machen.
Dillis, Wolkenstudie, 1821, Kreide/far. Papier
Blechen, Wolken bei Tage mit blauem Himmel, 1823
Das Thema Wolken lag zu der Zeit, man kann sagen, in der Luft.
Blechen kannte es von seinem Kollegen Dahl, den er in Dresden traf, Dillis kannte die theoretischen Untersuchungen seines Freundes Goethe. Nahezu gleichzeitig finden aber beide eine ganz neue Variation des Themas, sie schufen Wolkenhimmel ohne die darunter sich ausbreitende Architektur oder Landschaft. Beide widmeten sich den flüchtigen Erscheinungen der Wolkenformationen, beide untersuchten mit dem wachen Auge des Naturbeobachters. Dillis bevorzugte Zeichenmittel, die den natürlichen Farben des Sujets entgegen kamen, weiße Kreiden auf blauem Büttenpapier, die poröse Kreide bewirkt auf dem rau gerippten Papier zarte Übergänge. Dillis schätzte seine Wolkenstudien als autonome Werke mit wissenschaftlichem Charakter ein, stellenweise hat er penibel genau die Tageszeit und die Windrichtung auf den Rückseiten der Blätter festgehalten und in seinem Nachlass finden sich um die 150 Exemplare solcher Bildfindungen.
Bei Blechen ist die Sachlage etwas anderes. Er legte eine Reihe von Wolkenstudien an, die er wohl später als Bestandteil eines Gemäldes nutzen wollte.
Noch ein Wort zur heutigen Wertschätzung der Wolkenbilder bei Dillis. Im deutschen Sprachraum ist der Naturmaler Dillis noch immer nicht richtig bekannt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass man früher in ihm den Maler der Bayerischen Alpen sah und nicht recht seine Fähigkeit erkannte, große Stimmungslandschaften zu schaffen. Zudem war sein Nachlass bis vor wenigen Jahren nicht zugänglich. Heute findet man Dillis-Werke in nahezu jeder Ausstellung, die sich mit der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts befasst. Dillis gehört wie Blechen und Menzel zu den großen Leitgestalten der deutschen Malerei zwischen Romantik und Frührealismus. Gerade die Wolkenbilder haben in den vergangenen Jahren ihr Publikum gefunden. Dies zeigt sich auch in den Preisen, die auf dem Kunsthandel erzielt werden. Eine seiner Wolkenstudien hat bei einer Kölner Galerie im letzten Jahr einen Erlös von 18.000 Euro erzielt. Gerade dieses Blatt hat vor zwanzig Jahren bei einem Verkauf aus einer privaten Sammlung den Betrag von 200 DM erbracht.
Dillis, Toskanische Landschaft, Skzb. 1812, Bleistift/Feder
Blechen, Campagna Landschaft, 1829, Bleistift/Feder
Lassen Sie mich abschließend noch einige Sätze zur künstlerischen Technik dieser beiden wichtigen Vertreter der Malerei des 19. Jahrhunderts sagen:
Zum generellen Rüstzeug eines Landschaftsmalers gehören das Skizzenbuch, die Zeichenfeder und vielleicht noch der Tuschkasten, all dies sind leicht zu transportierende und schnell handhabbare Gegenstände für das Skizzieren vor der Natur. Gerade die schnelle Landschaftsskizze mit der Feder erleichtert das Festhalten von flüchtigen Eindrücken zu Erinnerungszwecken auf perfekte Weise. Unsere Beiden sind gleichermaßen genial darin. Und so groß sind die Unterschiede im Detail nicht, auch wenn Dillis ein wenig ornamentaler arbeitet, für beide ist die schnelle Schraffur das Instrument zu modellieren und Kontraste zu erzeugen.
Dillis, Landschaft bei Nizza, 1806, Lavierung
Blechen, Waldinneres mit Lichtung, 1830-36, Lavierung
An die reine Lavierung wagt sich nicht jeder, der mit Öl ganz gut umgehen kann. Bei der Lavur wird Aquarellfarbe oder Tusche naß in naß auf saugfähiges Papier aufgetragen. Farbübergänge können ganz diffizil angelegt werden. Die Gefahr bei der Lavur ist die extreme Feuchtigkeit, die den Farbverlauf oft nicht steuern lässt.
Der fünzigjährige Dillis und der 42jährige Blechen sind aber absolute Könner dieser Technik.
Dillis baut seine mediterane Landschaft in Blau und Grau durchschimmernd und pudrig auf. Durch Aussparungen der Grundfläche werden Lichtwerte gesetzt, in großen Farbflächen werden Strukturen modelliert. Mehr Atmosphäre geht kaum.
Außer bei Blechen, dem es gelingt, die Gegenstände, wie Bäume, Wege, Himmel noch mehr aufzulösen und sie nur noch als einen Hauch, eine Vision erahnbar zu machen. Eine Traumlandschaft, die einen schaudern lässt.
Blechen, Höhenzug bei Abendröte, 1829, Öl/Papier
Dillis, Gebirgszug mit Flusstal, 1830, Öl/Papier
Die reine Ölskizze entsteht meist vor Ort und gewinnt schnell autonomen Charakter. Die Ölfarbe wird flächig direkt auf das Papier aufgetragen. Auch hier können sich Fehler übel auswirken. Ölskizzen eignen sich vor der Natur zum schnellen Arbeiten bei dramatisch wechselnden Lichtverhältnissen. Auf eine Unterzeichnung wird meist ganz verzichtet.
Blechen gelingt damit eine furiose Stimmung seiner Landschaft, mit der dunkel angelegten, leicht modellierten Ebene, dem letzten Licht des Sonnenunterganges und dem bedrohlich sich zusammenballenden Abendhimmel. Mit sicherer Hand ist eine ganze Bildgeschichte in wenigen Minuten angelegt.
Auch Dillis hat für seinen Alpenblick höchstens eine halbe Stunde gebraucht. Bei Vernachlässigung jeglicher Detailzeichnung, es gibt überhaupt keine Unterzeichnung mehr, geht es nur um die Fixierung der Licht- und Luftverhältnisse. Details werden zwar benannt, wie die Baumgruppen und auch die Formation der Berge, wobei man die Zugspitze auch erkennen kann, doch der Pinsel deutet nur an, manchmal genügt ein leichter weiß-blauer Strich, wie beim Fluß. Dillis hält sich nicht mit Vordergrundmotiven auf, sondern geleitet den Blick ohne Verzögerung in die Bildtiefe.
Blechens hervorragender Rang im Kontext der europäischen Malerei der Zeit zwischen 1800 und 1840 ist seit langem unbestritten. Man liebt ihn für seine Ausdrucksstärke, aber auch für seine Melancholie, sein Vermögen, einerseits Situationen und Stimmungen zu erfassen, andererseits aber auch das eigene Sentiment nicht aus seinem Werk zu verbannen, sondern gerade im Gegenteil, es direkt und unmittelbar sprechen zu lassen.
In Frankreich und in England ist der Künstler Johann Georg von Dillis sehr bekannt, er findet sich in vielen dortigen Museen und die Stellung seines Werks innerhalb des Historischen Zusammenhangs, der von Turner bis Corot reichen kann, ist gewürdigt. Nur in Deutschland tut man sich schwer mit ihm. Wie viele Fachkollegen hier in „Norddeutschland“ haben erst durch mich von ihm erfahren. Dillis lässt sich nicht so leicht in das Raster der Romantik, zwischen Caspar David Friedrich und Moritz von Schwindt, einfügen.
Er blieb auch zeit seines Lebens ein „Einzeltäter“ wie dies auch Blechen war, fühlte sich oft auch ungerecht behandelt und als Künstler zurückgesetzt. Hatte aber das große Glück, durch eine feste Anstellung finanziell unabhängiger zu sein. Zudem scheint in der Familie ein großes Zusammenhalten vorhanden gewesen sein.
Der direkte Vergleich zwischen Blechen und Dillis, so wie ich es hier versucht habe, ist bislang noch nicht angestellt worden. Doch denke ich, dass gerade das vergleichende Herausarbeiten, was die Bildmotive und die Techniken anbelangt, zu einer erweiterten Erkenntnis beider Künstler beiträgt.
Die besprochenen Abbildungen finden sich größtenteils in folgenden Ausstellungskatalogen:
Johann Georg von Dillis (1759-1841)
Landschaft und Menschenbild
hrsg. von C. Heilmann; mit Beiträgen von B. Hardtwig,
C. Heilmann, K. Laudenbacher
und H. Sieveking
München, Prestel, 1991
Johann Georg von Dillis (1759-1841)
Die Kunst des Privaten
Zeichnungen aus dem Nachlass des Historischen Vereins von Oberbayern
hrsg. von Barbara Hardtwig
Köln, Wienand, 2003
Carl Blechen (1798-1840)
zwischen Romantik und Realismus
hrsg. von Klaus-Peter Schuster mit Beiträgen von S. Achenbach
München, Prestel, 1990
Carl Blechen (1798-1840)
Bilder aus Italien
Sonderausstellung zum 150. Todestag des Malers Carl Blechen
hrsg. von Beate Schneider
Cottbus, 1990
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